Grundrechte: EuGH kippt EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung
Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen die Grundrechte. Der Europäische Gerichtshof hat die Richtlinie aufgehoben, wonach alle Bürger ohne konkreten Verdacht überwacht werden. Die Maßnahme müsse auf das Notwendigste beschränkt bleiben.
Luxemburg – Das umstrittene EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen europäisches Recht und ist ungültig. Das hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden. Die Regelung „beinhaltet einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“, begründeten die Richter ihre Entscheidung.
Die Speicherung der Telefon- und Internetdaten und der Zugriff auf darauf ohne das Wissen der Betroffenen sei dazu geeignet, ein Gefühl der ständigen Überwachung des Privatlebens hervorzurufen.
Das Urteil dürfte für neuen Streit in der Koalition sorgen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte nach dem Urteilsspruch, die deutsche Regierung halte an einer Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung fest. Der Europäische Gerichtshof habe dafür klare Vorgaben gegeben. Laut de Maizière sei die umstrittene Überwachung notwendig zur Bekämpfung „schwerster Straftaten“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht hingegen keinen Grund mehr, schnell einen deutschen Gesetzentwurf dazu vorzulegen. „Damit ist eine neue Situation eingetreten“, sagte Maas. „Die Grundlage für die Vereinbarung im Koalitionsvertrag ist entfallen. Deutschland ist nicht mehr zu einer Umsetzung der Richtlinie verpflichtet.“ Auch Zwangsgelder drohten nicht mehr.
Geklagt hatten eine irische Bürgerrechtsorganisation, die Kärntner Landesregierung und mehrere tausend Österreicher. Sie argumentieren, dass die Speicherung unverhältnismäßig sei und die Grundrechte auf Privatleben, Datenschutz und freie Meinungsäußerung verletze. Im Dezember hatte der zuständige Gutachter am Gerichtshof erklärt, die EU-Richtlinie müsse nachgebessert werden.
In Deutschland gibt es derzeit keine gesetzliche Regelung dazu. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Umsetzung in Deutschland 2010 gekippt – mit deutlichen Worten: Die anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten sei „geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen“, hieß es im Urteil. Die damalige schwarz-gelbe Regierung konnte sich danach nicht auf eine Neufassung einigen. Union und SPD wollen die Vorratsdatenspeicherung nun wieder einführen, wollten aber erst das EuGH-Urteil abwarten.
Kritiker wie der ehemalige Bundesdatenschützer Peter Schaar fordern erst einen Nachweis der Notwendigkeit. „Wer Grundrechte einschränkt, ist beweispflichtig“, heißt es in einem Blogeintrag. Diese fehlten bisher. Schaar verweist auf die USA, wo der Militärgeheimdienst NSA Vorratsdaten gesammelt hat: „Diese Super-Vorratsdatenspeicherung hat nicht einmal substantielle Beweise für Ermittlungen gegen Terrorverdächtige geliefert.“
Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüsste das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung begrüsst. „Es ist Zeit für eine neue Ehrlichkeit im Umgang mit der anlasslosen Überwachung. Nach der Massenüberwachung der NSA und anderer Geheimdienste darf es kein ‚Weiter so‘ geben. Jetzt muss Schluss sein mit der gesetzlich verordneten Massenspeicherung von Telekommunikationsdaten, zu denen die NSA in Amerika problemlos Zugang haben. Die Bürger sind nicht potentielle Terroristen“, so die FDP-Politikerin am Dienstag gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Es sei falsch gewesen, dass Kommissarin Cecilia Malmström Deutschland zu einer Umsetzung zwingen wollte, obwohl sie die grundlegenden rechtlichen Probleme kenne, so Leutheusser-Schnarrenberger weiter.
Leutheusser-Schnarrenberger hatte in ihrer Amtszeit die anlasslose Vorratsdatenspeicherung stets abgelehnt und sich damit gegen CDU/CSU gestellt. An die jetzige Koalition appellierte sie, von einer Neuauflage des Vorhabens Abstand zu nehmen: „Jetzt kann gezeigt werden, dass die massenhafte Ausspähung und die Ausschnüffelei von Millionen von unbescholtenen Bürger beendet werden kann – zumindest in der Europäischen Union. Die Vorratsdatenspeicherung gehört in die Geschichtsbücher“, so die Ex-Ministerin.
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) zeigte sich ebenfalls erfreut. Die Festlegungen im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union zur Vorratsdatenspeicherung seien nunmehr durch das Urteil der Boden entzogen worden. „Jetzt ist Standhaftigkeit und Konfliktbereitschaft des Bundesjustizministers gegenüber der Union gefordert“, so Baum. Der Liberale gehörte einst zusammen mit der ehemaligen Justizministerin zu den Klägern gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht.
Quelle: Spiegel.de